Glutenfrei, bitte – Alles eine Frage der Sicherheit
Ein Gastartikel von der DZG (Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V.) über eine sichere Versorgung in der Gemeinschaftsverpflegung: „Glutenfrei, bitte!“
„Eine sichere Ernährung ist eines der Grundbedürfnisse der Menschen und doch mehr als nur die reine Nahrungsaufnahme.“ Das schreibt das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in ihrem Eckpunktepapier zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung (2022, S.1).
Täglich nehmen rund 16 Millionen Tischgäste in Schulen und Kitas, Kliniken, Pflegeeinrichtungen und Betriebskantinen ein Angebot der Gemeinschaftsverpflegung (GV) in Anspruch.
Für Menschen mit Zöliakie ist die Teilnahme an einem solchen gemeinsamen Essen kaum realistisch, da eine sichere glutenfreie Ernährung nur selten gewährleistet werden kann. Die Autoimmunerkrankung Zöliakie setzt eine strikt glutenfreie Ernährung jedoch als einzig mögliche Therapie voraus.
Ge|mein|schaft
Im Duden wird das Wort Gemeinschaft durch „das Zusammensein, in gegenseitiger Verbundenheit“ definiert. (Cornelsen Verlag GmbH, 2023)
Im Kontext der Gemeinschaftsverpflegung werden Menschen also in Verbundenheit miteinander kulinarisch versorgt und verpflegt.
Sichere Gemeinschaftsverpflegung: bitte glutenfrei
Durch das gemeinsame Essen entstehen Zeit und Raum für Interaktion und Kommunikation, was einen großen Beitrag zur sozialen Teilhabe und zur Chancengleichheit leistet. Doch warum wird einigen Menschen diese Verbundenheit durch gemeinsames Essen verwehrt? Da Zöliakie-Betroffene nach wie vor Schwierigkeiten haben, an einer gemeinsamen Verpflegung teilzunehmen, ist die Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland offenbar nicht in der Lage, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu erfüllen.
Glutenfreie Ernährung, wieso?
1 von 100 Menschen in Deutschland leidet an einer Zöliakie – einer chronischen Erkrankung, ausgelöst durch das Klebereiweiß Gluten. Dieses kommt in Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Roggen und anderen vor und verursacht häufig Bauchschmerzen, Durchfall und weitere Beschwerden.
Bereits sehr geringe Mengen, Rückstände von Gluten können eine Entzündung im Dünndarm hervorrufen und die Schleimhaut schädigen. Die Folge ist eine Rückbildung der Darmzotten und der damit verbundenen mangelnden Nährstoffaufnahme. Die derzeit einzige ‚Lösung‘ ist der lebenslange Verzicht auf Gluten.
Viele Grundnahrungsmittel sind von Natur aus glutenfrei. Dazu zählen beispielsweise Gemüse und Obst, Kartoffeln und Reis sowie Milchprodukte, Fleisch und Fisch. Aber auch glutenfreie Getreideerzeugnisse z.B. aus Mais und Pseudogetreide können problemlos verzehrt werden. Dabei sollte aber immer auf das Symbol der durchgestrichenen Ähre oder den Hinweis “glutenfrei” geachtet werden.
Richtig knifflig wird es erst dann, wenn Betroffene auf die Verpflegung durch andere angewiesen sind. Egal, ob es sich dabei um einen Restaurantbesuch mit der Familie, einen Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalt handelt oder die Kinder in Kita und Schule gemeinsam mit Freund*innen zu Mittag essen wollen – es ist eine Belastungsprobe für Glutenfrei-Anbietende und Betroffene.
Kennzeichnung von Allergenen
Seit Dezember 2014 gilt die Allergenkennzeichnung gemäß der EU-Verordnung 1169/2011 auch für lose Ware. Diese Regelung betrifft nicht nur Gastronomie, Bäckereien und Metzgereien, sondern auch die Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen, Krankenhäusern, Rehakliniken, Senioreneinrichtungen, Kita und Schule.
Verpflichtende Angaben sind die 14 Hauptallergene (unter anderem auch glutenhaltiges Getreide, namentlich genannt), deklarationspflichtige Zusatzstoffe, sowie weitere verpflichtende Angaben. Diese möglichen Auslöser für Lebensmittelallergien und –unverträglichkeiten müssen für Konsument*innen klar erkennbar sein. Mögliche Allergen-Spuren unterliegen nicht der Deklarationspflicht und zählen zu den freiwilligen Angaben. Wird also ein ursprünglich glutenfreies Gericht (Pommes) durch Glutenhaltiges kontaminiert (paniertes Schnitzel), indem beides in derselben Fritteuse zubereitet wird, muss dies nicht gekennzeichnet werden. Und genau hier setzt die Problematik des „Außer Haus“-Verzehrs bei Zöliakie-Betroffenen ein.
Bereits kleinste Rückstände von glutenhaltigem Getreide können Symptome hervorrufen und die Gesundheit der Betroffenen nachhaltig beeinflussen. Wenn diese Rückstände nicht gekennzeichnet werden müssen, so sind selbst per Rezeptur glutenfreie Speisen für Zöliakie-Betroffene nicht verlässlich. Die sichere und nicht gesundheitsschädliche Ernährung, eines der menschlichen Grundbedürfnisse, ist damit nicht mehr gewährleistet.
Italien als Vorbild bei einer glutenfreien Ernährung
Italien ist Deutschland hinsichtlich der glutenfreien Versorgung bereits einen großen Schritt voraus. Oder auch zwei Schritte.
Seit 2005 gibt es ein Gesetz zur Integration glutenfreier Speisen in der Gemeinschaftsverpflegung. Das bedeutet, dass Zöliakie-Betroffene Anspruch auf eine adäquate Versorgung in öffentlichen Einrichtungen und somit ein Recht auf eine sichere glutenfreie Mahlzeit in Schul- und Krankenhauskantinen haben. Kantinen privater Einrichtungen, wie beispielsweise Betriebskantinen, unterliegen diesem Gesetz nicht. Allerdings ist das Bewusstsein für die Erkrankung und das universelle Recht auf Gesundheit (geregelt in Artikel 32 der Verfassung) so präsent, dass auch unzählige private Einrichtungen, wie Restaurants, Bars und Cafés Glutenfreies anbieten.
Schlussbetrachtung
Wenn eine sichere Verpflegung zu den Grundbedürfnissen zählt, warum wird dann nicht mehr getan, um jedem den Zugang zu sicheren Speisen zu ermöglichen?
Die Gemeinschaftsverpflegung darf sich zukünftig breiter aufstellen, über den Tellerrand hinausschauen und den Blick mehr auf Inklusion und Teilhabe richten. Sie darf sich Italien zum Vorbild nehmen, die Allergenkennzeichnung ausbauen und nicht nur als aufwändige Pflicht, sondern als wichtigen Service für ihre Gäste verstehen. Dies würde vielen Menschen die Chance geben, überhaupt einmal Angebote der Gemeinschaftsverpflegung in Anspruch nehmen zu können und diese entspannt im Zusammensein mit anderen zu genießen.
In den folgenden beiden Teilen unserer dreiteiligen Reihe „Glutenfrei, bitte!“ werden wir die psychosozialen Aspekte der Außer-Haus-Verpflegung beleuchten und mögliche Lösungsansätze erörtern.
Die DZG stellt sich vor
Als gemeinnütziger Verein und Selbsthilfeorganisation wurde die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG) 1974 gegründet. Inzwischen zählt die DZG bereits über 42.000 Mitglieder in ganz Deutschland und ist selbst Mitglied der AOECS (Association of European Coeliac Societies).
Die DZG steht im Austausch mit Ärzt*innen, Ernährungsfachkräften und unterstützt die Forschung. Ein großes Herzensprojekt ist die Verbesserung der glutenfreien Verpflegung außer Haus. Hierzu steht die DZG mit Gastronom*innen und Anbietenden der Gemeinschaftsverpflegung in engem Kontakt und bietet Schulungen und Prüfungen für „Glutenfrei außer Haus“ an.
Quellenangaben:
Associazione Italiana Celiachia APS, Rechte und Regeln/www.celiachia.it
Bundeszentrum für Ernährung, Allergenkennzeichnung, 2020/www.bzfe.de
Bundeszentrum für Ernährung, Zöliakie, 2022/www.bzfe.de
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Eckpunktepapier: Weg zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung, 2022, S.1/www.bmel.de
Cornelsen Verlag GmbH, Duden: Gemeinschaft, 2023 /www.duden.de
Deutsche Gesellschaft für Ernährung, GV im Aufbruch mit Rückenwind in die Zukunft, 2023/www.dge.de
Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V., Was wir tun, 2023/www.dzg-online.de
Holger Pfefferle, Stephanie Hagspihl, Kerstin Clausen, Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland – Stellenwert und Strukturen, Ernährungsumschau, 2021/DOI: 10.4455/eu.2021.034
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